Experte erklärt, was gegen die Bildungs-Krise helfen würde: Diese 100 Wörter MUSS jeder Schulanfänger kennen
Prof. Matthias Grünke kritisiert, dass viele Kinder weder richtig rechnen noch schreiben können
Rechnen, lesen, schreiben: Für viele Grundschüler ist das ein Problem
Nicht nur die Pisa-Studie zeigt es: Um die Bildung in Deutschland steht es schlecht. „Es ist so schlimm wie nie zuvor“, warnt Bildungsexperte Prof. Matthias Grünke (54).
Rund 8,4 Millionen Kinder und Jugendliche lernen aktuell an den allgemeinbildenden Schulen in Deutschland. Doch obwohl die Akademikerquote steigt, steigt auch die Zahl derer, die gar keinen Schulabschluss schaffen.
Grünke ist Experte auf dem Gebiet Lernstörungen und Sonderpädagogik, außerdem Verhaltenstherapeut und Montessori-Pädagoge. Er leitet einen Lehrstuhl an der Uni Köln. BILD hat mit ihm darüber gesprochen, wie Deutschland in 20 Jahren aussehen wird, wenn sich jetzt nichts ändert.
Wissenschaftler im Katastrophenfilm?
Der Experte kritisiert „massive Rückstände in den Grundkompetenzen“. Die Kinder haben keine Probleme bei Gedichtinterpretationen oder Integralrechnung – sie kommen gar nicht so weit, weil ihnen eben schon Grundkenntnisse beim Rechnen, Lesen und Schreiben fehlen.
„Ich komme mir vor wie ein Wissenschaftler im Katastrophenfilm: Sie sehen, dass etwas Schlimmes auf uns zukommt, versuchen zu warnen – aber niemand hört zu“, sagt er. „Die durch Pisa aufgedeckte Misere ist massiv und wird auch für die Gesellschaft Folgen haben. Wir hatten noch nie einen solchen Einbruch – das macht mich sehr nervös.“
Aber warum? Werden unsere Kinder immer dümmer? Die Lehrer immer schlechter? Oder wer ist schuld?
Laut Grünke ist das größte Problem, dass es keine Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis gibt. „Eigentlich kennen wir für alle Bildungs-Probleme die richtige Lösung – es wird aber einfach so getan, als gebe es keine.“ Dabei habe die Pädagogik einen deutlich größeren Wissensschatz als viele andere wissenschaftliche Bereiche.
100 Wörter für den Schuleinstieg
Ein Beispiel: Es gebe aktuell so viele Kinder wie noch nie mit so schlechten Deutschkenntnissen, dass sie die Schriftsprache gar nicht erwerben könnten. „Die Lösung wäre: Neu eingeschulte Kinder müssen zunächst die 100 häufigsten Wörter der deutschen Sprache lernen.“ Das sei mit der richtigen Methode binnen zwei Wochen möglich. Dann sei ein Grundstock gelegt.
Bei der Auswahl der Wörter sollten sich Lehrer oder auch Eltern natürlich an Listen zu den häufigsten Wörtern der deutschen Sprache orientieren, sie jedoch keinesfalls unreflektiert übernehmen, da viele Wörter aus der „Erwachsenenwelt“ für Kinder noch keinen Mehrwert bieten. Prof. Grünke nennt daher folgende 100 Wörter:
„Es ist sinnvoll, mit den Nomen zu beginnen, da sie häufig die Themen von Gesprächen darstellen“, erklärt der Experte. Grundlegende Verben helfen dabei, einfache Satzstrukturen zu verstehen, während Adjektive das Verständnis von Nomen erweitern. Pronomen, Artikel, Adverbien und Fragewörter helfen schließlich beim Satzbau sowie bei der Suche nach und dem Verständnis von Informationen. So setze ein Schneeballsystem ein und auf die ersten 100 Wörter folgen schnell weitere.
Fehlende Bildung bringt die Gesellschaft zu Fall
Grünke ist überzeugt, dass fehlende Bildung die Gesellschaft zu Fall bringen wird. „Wenn wir das versauen, setzen wir die Kinder auf ein Gleis in Richtung Gosse. Das ist keine Panikmache, das passiert, wenn mittlerweile die Hälfte aller Viertklässler in NRWs Großstädten nicht einmal mehr die Mindeststandards im Lesen erfüllt. So schlimm war es noch nie. Und es ist klar, dass das schiefgehen muss.“
Deutschland habe keinen anderen Rohstoff als Bildung. Es warte daher ein Horrorszenario: „Jobs können nicht mehr übernommen werden und die wenigen, die gut ausgebildet sind, tragen die Hauptlast.“
Schlimmer noch: „Wenn wir sprachliche Hürden haben und Worte versagen, spricht auf den Schulhöfen immer häufiger die Faust – das hat massive Auswirkungen auf das Verhalten. Fehlende Lese- und Rechtschreibkompetenz führt auch zu mehr Kriminalität.“
Doch was kann helfen?
„Es müsste mit fundierten Methoden gegengesteuert werden – und zwar jetzt“, betont der Wissenschaftler. Es müsse in die Ausbildung der Lehrkräfte und Ausstattung der Schulen investiert werden, es müssten Kompetenzen vermittelt werden, um die Leistungen der Schüler zu messen. Und: Kinder müssten integriert werden und die wichtigsten Sprachkompetenzen vermittelt bekommen.
„Im Moment sind wir an einem Kipppunkt angelangt – kippt die Situation, gibt es kein Zurück. Doch die Lösungen sind nicht komplex, zeitaufwendig oder teuer.“